
Seit im Oktober 1998 das „Monster von Minden“ entdeckt wurde, gilt der Dinosaurier als Sensationsfund in der Region. Wir haben uns 22 Jahre später, im Oktober 2020, selbst auf die Suche begeben und sind im Steinbruch „Lutternsche Egge“ im Wiehengebirge auf einen Bergwerksstollen und eisenhaltigen Porta-Sandstein gestoßen. Es wird Zeit für unsere fünfte Oktober-Geschichte.
Der Fund „Monster von Minden“ im Oktober 1998
Er wird auf eine Körperlänge irgendwo zwischen sieben und 15 Metern geschätzt, soll um die zwei Meter groß gewesen sein, etwa 30 Zentimeter lange Zähne gehabt haben (mit Wurzel gemessen, ohne Wurzel 20 Zentimeter) und rund zwei Tonnen Gewicht auf den Hinterbeinen mit sich herumgetragen haben: der „Wiehenvenator albati“ – eine einzigartige Dinosaurier-Spezies aus der obersten Stufe (Callovium) der „Mittleren Jura“ (vor 163,5 bis 166,1 Millionen Jahren) der Erdgeschichte. Benannt wurde er nach seinem Fundort, dem Wiehengebirge, seiner Gattung, fleischfressende echsenartige Jäger mit kurzen Vorderläufen, und seinem Finder, Diplom-Geologe Friedrich Albat vom Umweltlabor ACB GmbH in Münster.
Aufgrund der Größe der Fundstücke und der Nähe zur Stadt Minden erhielt „Albats Wiehengebirgsjäger“ auch gleich einen Spitznamen: „Monster von Minden“. Dabei war der Saurier vermutlich nicht einmal vollständig ausgewachsen, fanden der Paläontologe Oliver W. M. Rauhut von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), Tom R. Hübner sowie Klaus-Peter Lanser vom Museum für Naturkunde des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL-Museum) in Münster nach einer gemeinsamen Untersuchung des Fundes heraus.
„Monster von Minden“ wird er auch deshalb genannt, weil am 14. Oktober 1998 bei einer Routinebegehung die versteinerten Knochen (unter anderem zwei Schwanzwirbel, Rippenfragmente, Teile des Unterschenkels und Kiefers) und ein 18 Zentimeter langer Schneidezahn des Raubsauriers von dem im Auftrag des LWL-Museums untersuchenden Geologen Albat in einem stillgelegten Kalksandsteinbruch im Wiehengebirge in der Nähe des Gebirgspasses „Lutternschene Egge“ auf dem Gebiet der Stadt Minden entdeckt haben soll.
In diesem Gebiet, das Jahre zuvor zum Bodendenkmal erklärt wurde, sollen in der Vergangenheit und nach dem Sensationsfund weitere Fossilien gefunden worden sein. Die Ausgrabung des LWL-Museums von 1998 bis 2001 führte jedenfalls zu einer Wiederherstellung eines „fragmentarischen Theropodenskeletts zusammen mit reichlich vorhandenen wirbellosen Meerestieren und fossilem Holz“, heißt es in einem englisch-sprachigen paläontologischen Bericht auf Palaeontologia Electronica, dem wir auch die Fundstelle Lutternsche Egge entnehmen konnten. Verfasst wurde der Bericht nach der Entdeckung des Wiehenvenators im Jahr 2016 von Rauhut, Konservator der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie, Hübner und Lanser, die den Fund ausgiebig analysierten.
Sprich: Die gefundenen Fossilien waren in Meeressedimente eingeschlossen. Zudem habe man in diesem Ausgrabungsgebiet schon reichlich Austern gefunden (Albat habe gedacht, er wäre wieder auf eine getreten, die sich dann als Sensationsfund herausstellte) und 2014 zum Beispiel ein Meereskrokodils-Schädel.
Meeres-Krokodil? Richtig gelesen. Vor etwa 165 Millionen Jahren stand das Bodendenkmalsgebiet vermutlich fast vollständig unter Wasser. Die Forscher gehen aber davon aus, dass der Wiehenvenator auf Inseln im Meer lebte. Er sei schließlich ein Landraubtier gewesen. Wie es in Mitteleuropa inklusive Minden damals ausgesehen haben mag, veranschaulicht sehr schön eine Illustration des Künstlers Harro Maass (siehe Poster „Drei deutsche Dinos“), die er im November 1999 für National Geographic anfertigte.
Kurzum: In dieser Gestalt soll das „Monster von Minden“ durch Nordrhein-Westfalen spaziert sein:

Sobald die Corona-Lage es zulässt, kann die Lebend-Rekonstruktion des „Wiehenvenator albati“, der im Oktober 2020 der Gattung Torvosaurus (übersetzt: „wilde Echse“) zugeordnet wurde, in der Dauerausstellung „Dinosaurier – Die Urzeit lebt!“ im LWL-Museum für Naturkunde in Münster bestaunt werden – genau wie die versteinerten Original-Knochen des Urtieres. Alle Informationen zur Austellung gibt es auf der Seite des LWL-Museums.
Die neuesten Erkenntnisse zum Dinofund findet man in einer Pressemeldung des LWL-Museums vom 7. Oktober 2020.
Unsere Suche im Wiehengebirge 22 Jahre später
Man muss schon ein bisschen „crazy“ sein (oder lebensmüde, wie man’s nimmt), wenn man den stillgelegten Kalksandsteinbruch am Pass Lutternsche Egge mitten im Wiehengebirge ohne fachmännische Ausrüstung umrunden und zu ihm herabsteigen will, um Dinospuren oder Überreste vom damaligen Fund „Monster von Minden“ finden zu wollen. Aber verrückt wie wir sind: Wir haben es getan – und interessante Aufnahmen mitgebracht.
Doch spulen wir zurück zum Anfang.
Zuerst hat dieser Satz aus der oben genannten Pressemeldung des LWL-Museums vom 7. Oktober, bezogen auf das „Monster von Minden“, unsere Neugierde geweckt: „Seit diesem Jahr sind sich die Forscher/innen einig: Die Fundstücke sind die weltweit ältesten der Gattung Torvosaurus und gleichzeitig die ersten in Deutschland.“ Wow. Und das bei uns in der Region. Eigentlich unglaublich, oder?!
„Unglaublich“, das war das Stichwort. Wir wollten der Sache selbst auf den Grund gehen. Irgendwas muss sich doch noch finden lassen in dem Wiehengebirgs-Steinbruch, das darauf hindeutet, dass dort jemals Dinosaurier lebten (im Obernkirchener Sandsteinbruch sind schließlich auch Dinospuren sichtbar – siehe unsere Bildergalerie im Archivbericht). Keine Ahnung, was uns erwartete, sind wir am 11. Oktober 2020 einfach los. Über Serpentinen auf der Kreisstraße 30 gefahren parkten wir unser Auto am „Berghotel Lutternsche Egge“ in Bad Oeynhausen ab und legten einen rund vierstündigen schwerlichen Fußmarsch in den Nachmittagsstunden hin.
Nasses Laub, rutschiger Waldboden, Nieselregen, schmale Pfade und steile Hänge (teils beides auf einmal) – nichts hielt uns davon ab, den 256 Meter hoch gelegenen, langgestreckten Kammgipfel im Wiehengebirge zu bezwingen. Auf der Karte von Rauhut, Hübner und Lanser stand „Lutternsche Egge“, also wollten wir da hin – zum Gebirgspass, der genau auf der Grenze der beiden ostwestfälischen Städte Minden und Bad Oeynhausen liegt – genauer zum anliegenden Steinbruch, dem Gelände, wo vermutlich vor 22 Jahren das „Monster von Minden“ ausgegraben wurde.
Plötzlich stehen wir davor. Am Abhang des riesigen Steinbruchs. Ein Blick in die Tiefe lässt uns erschaudern. Geht es hier 200 Meter nach unten? Bestimmt. Ohne Zaun, ohne Absperrung, wohin man schaut:
Um der Sache im wahrsten Sinne des Wortes auf den Grund zu gehen, mussten wir da runter. Ein direkter Pfad nach unten existierte aber nicht. Also blieb uns nichts anderes übrig, als den Steinbruch (vom Wittekindsweg aus gesehen in östlicher Richtung) am Rande der Klippe zu umrunden. Dass das ein über Ein-Kilometer-Fußmarsch auf besagtem unwegsamen, teils lebensgefährlichen Gelände bedeutete, realisierten wir erst Tage später (wir empfehlen, das auf keinen Fall nachzuahmen). Der Gedanke, Dinospuren zu finden, trieb uns einfach voran.
Außerdem war die unberührte, wilde Natur rund um den Steinbruch (mit Ausnahme einer Stelle, wo irgendwer eine Art Schlafplatz zwischen drei Bäumen errichtete und Müll hinterließ) sowie der Ausblick auf die Stadt Minden (Dützen, Haddenhausen, Potts Park und mehr) atemberaubend schön:
Nach anderthalb Stunden Umrundung war es dann soweit. Das Glück, „unten angekommen“ zu sein, war noch nie so überwältigend. Wir standen am „Tor“ einer historischen Grabungsstätte – für uns erkennbar an einem alten Fetzen Stoff an einem dünnen Pfahl, der aus dem Boden ragte – ach, was sagen wir, auf dem Grund eines (nicht allzu tiefen Schilf- oder Watten-) Meeres, das vor Jahrmillionen austrocknete und zahlreiche Gesteinsschichten hinterließ. Ein winziger Schritt für die Menschheit, aber ein ganz großer für uns. 🙂
Zurück auf dem Boden der Tatsachen angekommen, erwartete uns jetzt nicht etwa ein einfacher Gang durch die „Grube“. Wir mussten uns auf schmalen, rutschigen Erhebungen an der vom Wittekindsweg aus nördlich gelegenen Steinbruchmauer entlangschlängeln, um ansatzweise Spuren prähistorischer Wesen erkennen zu können.
Doch plötzlich tat sich etwas völlig Unerwartetes auf: ein dunkler Spalt, in den man hineinschauen kann. Eine Höhle? Wir leuchten und blitzen mit der Kamera rein. Zu sehen ist nur etwas Holz. Aber der Spalt ist gerade groß genug, um hineinkriechen zu können. Unsere Redakteurin wagte es und war völlig aus dem Häuschen: „Das ist keine Höhle. Hier steht ein alter Metallbehälter, könnte von einem Bagger stammen, und es sind Metalltüren zu sehen, die sind aufgebrochen, und dahinter eine grüne Wand. Und die Decke ist mit Holzbalken abgestützt. Und ein verrosteter Castrol-Benzinkanister liegt hier rum.“
Offensichtlich sind wir auf einen alten, freigelegten Bergwerksstollen gestoßen. Den Steinen nach zu urteilen und aufgrund der Nähe zum Potts Park könnte es sich um einen ehemaligen Stollen handeln, in dem Eisenerz abgebaut wurde. Sehen Sie selbst:
Tatsächlich findet man auf einer Webseite des Heimat-Vereins Dützen den Hinweis, dass die eisenerzhaltige Schicht „zu den Formationen des mittleren Jura“ gehörte – was genau in die Zeit des „Monsters von Minden“ passt.
Außerdem soll ein gewisser Eisengehalt in Porta-Sandstein eingebettet gewesen sein. Der Sandstein, der im 19. und 20. Jahrhundert entlang des Wiehengebirges abgebaut wurde, ziert bis heute das Kaiser-Wilhelm-Denkmal und Berghotel Wittekindsburg, den Mindener Dom, Bahnhof, das Rathaus und Preußen-Museum, das Schloss Petershagen, diverse Mühlen, Kirchen und andere historische Gebäude.
Desweiteren deutet vieles darauf hin, dass es sich um ein Teilstück des vom Heimat-Verein beschriebenen Versuchsstollen handeln könnte, den man am 8. Oktober 1935 vom Königsberge (Häverstädt) aus in das Innere des Berges trieb, dessen gefördertes Eisenerz – ein begehrter Rohstoff für die damalige Rüstungsindustrie – man zuerst per Lastwagen nach Minden transportierte und später nach Dützen (wo der heutige Freizeitpark Potts Park Minden steht, der auf einem ehemaligen Eisenerz-Zechengelände erbaut wurde, siehe Geschichte Potts Park).

Eisenerzstollen hin oder her: Wir waren immer noch auf der Suche nach Überresten der damaligen Ausgrabungen des LWL-Museums. Ein paar Schritte weiter über den umwegsamen Pfad gelaufen zeigte sich endlich der erste Hinweis: „517 207“. Eine von Menschenhand gezeichnete Ziffer auf einem Bruchstein in der Wand deutet darauf hin, dass hier Archäologen oder eben Paläontologen am Werk waren. Und noch ein paar Schritte weiter lehnt ein alter verrosteter Spaten ohne Griff an einem Stein auf dem Boden.
Doch weit und breit ist keine Dinospur zu erkennen oder eine Auster oder sonstige versteinerte Urlebewesen. Uns kommen Zweifel, ob dies überhaupt die Stelle ist, wo die Forscher den Wiehenvenator fanden. Wir liefen noch ein paar Meter, bis es nicht mehr weiterging. Das Gelände war zu überwuchert. Wir waren müde, hatten Hunger und wollten einfach nur noch weg.
An dieser Stelle endete also unsere Suche. Einerseits waren wir enttäuscht, keine prähistorischen Funde gemacht zu haben. Andererseits ist der Stollen, der Spaten, die Ziffer und das Eisenerz echt – und unser Muskelkater nach dem „Ritt ins Unbekannte“ – unbeschreiblich. 🙂
Zuguterletzt können wir das „Rätsel“ in der Beschreibung unseres „Oktober-Gezwitscher“-Videos auf YouTube auflösen, warum wir uns am 11. Oktober ausgerechnet an diesem Ort aufgehalten haben, und geben die übrigen Eindrücke gern an Sie weiter:
++ UPDATE ++
Am 4. Februar 2021 wurde vom LWL die Webserie „Saurierland Westfalen“ gestartet – beginnend mit dem YouTube-Video Wiehenvenator – Das Monster von Minden. In diesem Video werden auch Fotos von der Fundstelle des Wiehenvenators von 1998 gezeigt. Wir erkennen den Spaten wieder und das Loch in der Felswand (das offensichtlich zu einem späteren Zeitpunkt vergrößert wurde, wohinter sich der Bergwerksstollen verbirgt). Doch jetzt stellt sich heraus, dass die Fragmente des „Monsters von Minden“ oberhalb der Felswand geborgen wurden. Diese Stelle war für uns unerreichbar. Nun ja, die Paläontologen waren eben eindeutig im Vorteil mit ihren Kletterausrüstung. Aber unsere Zweifel, am falschen Standort gesucht zu haben, sind nun ausgeräumt. Nachträglich betrachtet hat sich unser beschwerliche Ausflug ins Unbekannte eben doch gelohnt.
Textquellen: Willem („Profiteur des Klimawandels“, Druckausgabe Nr. 6/2020, S. 2, 3), Schaumburger Nachrichten online (Das Monster von Minden), Wikipedia.org („Wiehenvenator“, „Mitteljura“), Bayerischer Rundfunk Wissen (Raubsaurier Wiehenvenator albati). Sämtliche Angaben sind sorgfältig recherchiert – Änderungen und Irrtümer vorbehalten.