
Das Weserfloß 2016 ist Geschichte – so oder so gesehen. Nachdem es am 12. September in einem Mindener Sägewerk seiner letzten Bestimmung zugeführt wurde, wird das Erlebnis und die Historie rund um die „schwimmenden Bäume“ dank der Weserflößer Reinhardshagen und dem UNESCO-Titel „Lebendiges immaterielles Kulturerbe“ weiterleben.
Es war ein historischer Moment für die 18 Männer des hessischen Vereins „Weserflößer Reinhardshagen e.V.“, als sie nach drei Tagen Bauzeit ihr 40 Meter langes und sieben Meter breites Floß in Gang setzen und sich gemeinsam auf die Reise Richtung Oberes Wesertal machen konnten. Schließlich hatten sie eine Mission zu erfüllen: den Menschen im 21. Jahrhundert zeigen, dass ein wirtschaftlicher Aufschwung ganzer Regionen ohne Flöße in der Vergangenheit kaum denkbar gewesen wäre, bevor die Eisenbahn kam und Lastkraftwagen den Transport von Gütern übernahmen.
Ihr Anliegen „Regional ist nicht egal“ verbreiteten sie daher vom 4. bis 9. September unter tatkräftigem Einsatz auf ihrer rund 200 Kilometer langen Floßfahrt auf der Weser – von Reinhardshagen-Vaake über Bodenfelde, Höxter, Bodenwerder, Hameln, Rinteln bis nach Minden. Unter großem Interesse der Zuschauer am Flussufer zeigten sie, dass der wichtigste Part an der Weser die Menschen sind, die diesen Fluss prägen. Ein weiterer Grund, ein Weserfloß auf den Weg zu bringen, war das 1150-jährige Jubiläum ihres Ortsteils Vaake. So war Fred Dettmar, Bürgermeister der Gemeinde Reinhardshagen, höchstpersönlich am Bau des Floßes beteiligt.

„20.000 Euro wurden in die Hand genommen, um dieses Projekt umzusetzen“, erklärte Vereinsvorsitzender Eckhard Meyer, „inklusive aller Genehmigungen, Equipment, Übernachtungen in Jugendherbergen oder Raststätten. Ohne unsere Sponsoren wie die Einbecker Brauerei, Extertaler aus Rinteln und viele andere hätten wir das nie finanzieren können.“
„Im fortgeschrittenen Alter kann man einfach nicht mehr im Freien auf dem Floß schlafen“, ergänzte Flößer Dieter Lipp, „aber unseren beiden Jungflößern machte das nichts aus. Die sind ja kurz vor dem Bau des Weserfloßes dazugestoßen. Und Nachwuchs können wir immer gebrauchen.“

Die 20 Meter langen Baumstämme mit einem Gesamtgewicht von rund 100 Tonnen, die mit Lkw-Spanngurten zusammengehalten, in zwei Lagen hintereinander, zwei Lagen übereinander und in der Mitte sogar in drei Lagen übereinandergestapelt wurden, „damit unsere Besucher keine nassen Füßen kriegen“, stammen jeweils zur Hälfte aus den Niedersächsischen Landesforsten / Solling und aus dem HessenForst / Reinhardswald, erklärte Meyer weiter. „Das Holz wird sozusagen verschleppt nach Minden, wo es an ein Sägewerk verkauft wird.“ Tatsächlich wurde das Floß am 11. September abgebaut und einen Tag später das Holz per Kran aus dem Wasser geholt und einem Mindener Sägewerk zugeführt.
„Aber unsere Flößer fahren umsonst“, betonte Meyer, „für den guten Zweck.“ Und mit unglaublich viel Freude und Stolz an der Sache, wie man den Männern ansah, als sie am 9. September gegen 19.40 Uhr an der Schlagde – dem ehemaligen Hafen und Umschlagplatz an der heute noch existierenden Fischerstadt – in Minden eintrafen.
Aus Bad Oeynhausen kommend, wo sie extra für Bedienstete der Stadtverwaltung Minden, wie dem Bau-Beigeordneten Lars Bursian, Angestellten der Pressestelle, Dombau-Vereinsvorsitzenden Hans-Jürgen Amtage sowie Vereinsmitglieder der Gemeinschaft der Fischerstadt e.V. und „Minden Hand in Hand“-Initiator Detlef Müller, Halt machten und sie an Bord ließen, begrüßten sie die schon sehnsüchtig wartenden Zuschauer am Mindener Weserufer mit einem Dudelsackspiel:
Aufgrund der zeitlichen Verzögerungen, auch wegen Bundeswehrübungen in Minden, waren die 16 Flößer und zwei Jungflößer hungrig – der befeuerte Hängegrill auf dem Weserfloß wartete schon darauf, mit Fleisch versorgt zu werden. Wobei auf der langen Reise ein kleines Malheur passierte: „Einer stocherte mit dem Eisen in der Glut. Die heiße Glut rutschte dann durch den Sand und fraß sich langsam durchs Holz. Aber die Stämme lagen ja im Wasser, es ist nichts Schlimmes passiert“, erzählte Lipp.

Die Ruder vorne (Schnepper) und hinten (Kuhlbaum) fest in der Hand, steuerten die erfahrenen Flößer, die schon 2008 und 2009 große Fahrten auf der Weser unternahmen, die Anlegestelle an der Schlagde sicher an. Begleitet von der DLRG wurde mit vereinten Kräften das Floß mit zwei langen Seilen am Ufer festgezurrt, bis es zum Stillstand kam. Entsprechend fest war der Händedruck bei der Begrüßung unserer Redakteurin.
„Jau, bei uns wird angepackt – alles handgemacht. Und die DLRG’ler aus Minden haben wir 2009 kennengelernt. Wir fanden uns sofort sympathisch, die haben uns super unterstützt. Schön, dass sie dieses Jahr wieder dabei sind“, freute sich Meyer. „Und wenn mal einer dringend auf Toilette oder aus anderen Gründen an Land musste, haben sie uns rübergebracht“, erzählte Lipp mit einem verschmitzten Lächeln.
Nun konnte eine Treppe zum Ufer gelegt werden, um das Service-Team der Weserflößer Reinhardshagen – das mit einem Transportwagen die Strecke parallel auf der Straße abfuhr – aufsteigen zu lassen, die die Flößer mit Bratwürsten, belegten Brötchen, Bier, Zigaretten, Grillkohle und allem, was das Flößerherz begehrt, begrüßten und versorgten.

Die Mindener Stadtbediensteten verließen jetzt das Floß und es wurde Platz gemacht für alle Besucher, die die schwimmende Handwerkskunst in der Abenddämmerung per perfektem Sommerwetter hautnah erleben wollten – was reichlich genutzt wurde. Interessanterweise befand sich an Bord sogar eine überdachte Kochecke mit Gasherdplatten, Metalltöpfen, einer Gusspfanne und anderem Kochgeschirr. Zwei Flößer betätigten sich als Köche und verpflegten die Männer mit leckerem Essen, wie beispielsweise Schichtfleisch – ein typisch hessisches Gericht.
Des Weiteren war diverses Werkzeug, wie Äxte und Haken, sowie Seile und mehrere Anker für alle Fälle an Bord. Die langen Hakenstangen benutzten sie überwiegend, um sich vom Ufer abzustoßen. Mehrere Anker waren notwendig, um irgendwie Halt an den angelaufenen Stationen zu finden. „An einer Stelle pflügten sich die Anker meterweit durch die Wiesen, bis das Floß zum Stillstand kam“, erzählte Meyer.
Nach etlichen Erklärungsgesprächen feierten einige Flößer dann noch gemeinsam mit ihren Gästen in der Mitte des gemütlich mit Holzbänken und Schirmen überdachten Floßes bis um Mitternacht, während ein paar ihrer Kollegen lieber die „Kojen“ in einer Unterkunft in Minden aufsuchten. Denn am nächsten Morgen ging es schon weiter.
Am 10. September hatten alle Interessierten fünf Stunden lang Zeit, das Weserfloß 2016 in seiner ganzen Pracht bei strahlendem Sonnenschein zu erleben. Verschiedene Aktionen auf der Schlagde, wie Vorstellung von Handwerksarbeiten und Gesang, ergänzten das ungewöhnliche Ereignis. Zudem konnte man es sich am Flussufer auf gepolsterten Holzstämmen und Design-Holzmöbeln gemütlich machen und dem Treiben auf dem Riesenfloß von oben zuschauen.

Während „Uschi“, der Reinhardshägener Floßhund, eine halbe Stunde lang das Weserwasser zwischen den Floßbalken trank, beantworteten die sympathischen Flößer am Samstag mit einer Engelsgeduld alle Fragen ihrer großen und kleinen Gäste. Ein klein wenig „Seemannsgarn“ gehörte auch dazu – denn die Hessen wissen halt, wie man Spaß auf dem Wasser haben kann. Nur mit dem hessischen Akzent haben sie es nicht so. „Zwischen Kassel und Göttingen sprechen wir Hochdeutsch“, klärt der Vorstandsvorsitzende auf und macht plötzlich auf lustige wie ernsthafte Geschichten, die das Flößer-Team auf ihren Fahrten erlebte, aufmerksam.

„Wichtig sind uns vor allem die Menschen, die wir erleben“, erklärte Meyer und legte das Logbuch auf den Tisch – das gut gehütete „kleine Geheimnis“ der Weserflößer Reinhardshagen. „Floßführer Thomas Hiddersen – der Einzige mit Schifffahrtspatent B (für Fahrgastschiffe) – musste zum Beispiel mal ins Gefängnis“, holte er aus. „Er wurde angeklagt wegen ‚Schikane der Floßbesatzung‘, ‚zu scharfes Anfahren der Kurven‘ und ’schlechte Verpflegung der Mannschaft‘. Dafür bekam er einen Tag Knast im Alten Amtsgericht in Petershagen.“
Gemeint ist natürlich das Hotel „Rast im Knast“, das wir in einem Bericht über Petershagen erwähnten. Aber eine klasse Geschichte, zumal wir erst vor Kurzem die Gefängniszellen des Amtsgerichts von innen fotografierten. Doch das Logbuch enthält nicht nur lustige Anekdoten. Auch ernsthafte Bitten an die Flößer sind dabei, zum Beispiel eines Sohnes an den Vater. Auch der Einband an sich ist einen Blick wert: aus Holz geschnitzt mit gusseisernen Scharnieren.
Als besonderen Abschluss führten Thorsten, Sabine und andere Vereinsmitglieder der Fischerstadt e.V. die Flößer mit einer Führung durch ihr Quartier. Die Weserflößer zeigten sich sehr beeindruckt von den historischen Bauten, den engen Gassen und Spielszenen der Fischerstädter. Abgerundet wurde der gemütliche Ausklang mit einem Kartoffelpufferessen auf dem Kastanienplatz – spendiert von der Stadt Minden – und vielen guten Gesprächen.
Doch nun hieß es Abschied nehmen vom Weserfloß 2016. Das riesige Floß wurde am 11. September im Mindener Getreidehafen auseinandergebaut und am nächsten Tag das Holz in ein Sägewerk transportiert. Die 18-Mann-Besatzung und ihr Serviceteam aus Reinhardshagen begaben sich auf den Heimweg.
Die ON-Redaktion wird dieses Ereignis immer in guter Erinnerung behalten und sagt an dieser Stelle „Herzliche Grüße an die Weserflößer Reinhardshagen!“ (alle Informationen findet man auf der Website www.weserfloesser.de) und hinterlässt noch ein Gruppenbildchen einiger Flößer

sowie eine Bildergalerie: