
Die ostwestfälische Stadt Minden darf sich ab sofort offiziell mit dem Titel „Reformationsstadt Europas“ schmücken – verliehen am Tag des 70. Geburtstags Nordrhein-Westfalens (NRW) durch eine Urkunde von der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE). Denn Minden habe eine bewegte Reformationsgeschichte aufzuweisen.
Es war ein historischer Tag. Nicht nur, dass am 23. August 2016 das Bundesland NRW seinen 70. Geburtstag feierte (siehe unser Bericht), wo auch die Stadt Minden Zuhause ist. Die Kommune hatte sich auf Anregung des Evangelischen Kirchenkreises Minden auch per Ratsbeschluss (Ratssitzung am 4. Februar 2016) um eine Mitgliedschaft in dem von der GEKE initiierten Netzwerk europäischer Reformationsstädte beworben und wurde mit Bestätigungsschreiben vom 26. April 2016 erhört.

Für die Übergabe der Urkunde mit dem Titel „Reformationsstadt Europas“ war Pfarrer Dr. Bernd Jaeger (GEKE) extra aus Wien angereist, um sie dem Superintendenten des Evangelischen Kirchenkreises, Jürgen Tiemann, persönlich zu übergeben. Auch Bürgermeister Michael Jäcke erhielt ein Exemplar. Die Würdigung fand im Kleinen Saal des Mindener Rathauses statt.
Pfarrer Dr. Jaeger überbrachte die Grüße im Namen des GEKE-Generalsekretärs, Bischof Michael Bünker, und hob – mit Blick auf das Jubiläum „500 Jahre Reformation“ im Jahr 2017 – hervor, dass vor allem die Städte Dreh- und Angelpunkte für den entstehenden Aufbruch in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren. Und Minden habe eine „bedeutende Reformationsgeschichte vorzuweisen“, unterstrich Bürgermeister Jäcke bei seiner Begrüßung.
Eine Besonderheit an der Reformationsgeschichte Mindens sei, dass hier 1529 eine Bürgerbewegung wegen des evangelisch predigenden, verhafteten Mönchs, der zum Pfarrer an St. Simeonis berufene Heinrich Traphagen, stattfand, wonach dieser aus seinem Kerker befreit und der widerstrebende Stadtrat wieder „auf eine Linie gebracht“ wurde, sprich: das neue Bekenntnis gegenüber den politisch Verantwortlichen durchgesetzt wurde. Dr. Jaeger erinnerte sich an die Geschichte der Bewegung der „36er“: „Es waren 36 mutige und etablierte Bürgerinnen und Bürger, die sich 1529 für die Umsetzung der Reformation in Minden einsetzten und den inhaftierten Pfarrer befreiten.“

Zugleich stehe Minden für das Konzept der Reformation, „Menschen durch Bildung unabhängig von ihrem Stand zur Mündigkeit zu führen“, so Pfarrer Dr. Jaeger. An dieser Stelle verwiesen Bürgermeister Jäcke und Superintendent Tiemann auf die bereits 1530 – gleichzeitig mit der Kirchenordnung – in Minden erlassene Schulordnung – der ersten in Westfalen – von Prediger Nikolaus Krage, die Bildung unabhängig vom jeweiligen Stand ermöglichte. Noch im gleichen Jahr sei das jetzige städtische Ratsgymnasium ins Leben gerufen worden. „Dadurch ist Bildung für breitere Bevölkerungsschichten überhaupt erst zugänglich geworden“, betonte Tiemann.
Bereits in den 1520er Jahren hielten der Geistliche Albert Nisius an St. Marien und Heinrich Traphagen Predigten mit reformatorischen Inhalten, rief Superintendent Tiemann ebenfalls in Erinnerung, genau wie den hundert Jahre später folgenden 30-jährigen Krieg, und ermahnte, „dass wir alle gerufen sind, den Frieden als das höchste Wohl anzusehen“.
Dafür sowie auch für Integration und Inklusion sollten sich die Mindener einsetzen. Deshalb habe der Evangelische Kirchenkreis für das Projekt Europäischer Stationenweg – das mit dem verliehenen Titel „Reformationsstadt Europas“ in Zusammenhang steht – auch das Motto „Nicht ohne Dich“ gewählt. Und Minden ist nur eine von 68 Städten, die auf dem Weg mit einem sogenannten „Stationenmobil“ besucht werden. Dieses wird Anfang November in Genf starten und am 20. Mai 2017 in Wittenberg sein letztes Ziel finden. Von allen 68 Stationen werden schließlich Transparente mitgenommen, die am Ende in Wittenberg ihre besondere Botschaft verbreiten.

Dabei wird Minden als einzige Stadt in Westfalen als Teil des „Europäischen Stationenweges“ angelaufen (wobei jede Station dieses Weges nach Angaben der GEKE auch „Reformationsstadt Europas“ werden kann). Der Truck der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa wird vom 25. bis 27. November 2016 in der rund 83.000-Einwohner-Stadt Halt auf dem Martinikirchhof machen.
Umrahmt wird der Besuch von einem Programm mit Konzerten, Vorträgen und Lesungen, das bereits Ende August beginnt, angefangen mit „DEIN TAG“ des Evangelischen Kirchenkreises Minden am 27. August 2016 auf dem Veranstaltungsgelände Kanzlers Weide und in der Innenstadt (siehe Facebook-Veranstaltung).
Pfarrer Dr. Bernd Jaeger freute sich jedenfalls, die Urkunde im historischen Rathaus überreichen zu können, weil dies bereits im 13. Jahrhundert „als Ausdruck eines selbstbewussten Bürgertums“ direkt an die Grenze des damaligen Dombezirks gebaut worden sei. Er hob hervor, dass die Reformation maßgeblich dazu beitrug, Bürger zum Lesen und Schreiben zu führen, die deutsche Sprache zu etablieren und den Buchdruck zu fördern. Er ließ aber auch nicht aus, dass der in den Städten begonnene Aufbruch nicht spannungs- und konfliktfrei verlief.
„Wir tragen den reformatorischen Gedanken immer noch in uns“, so Bürgermeister Jäcke abschließend. Minden sei eine weltoffene und tolerante Stadt, in der Chancengleichheit und Bildung eine große Rolle spiele. Deshalb sei es „eine Ehre, diesen Titel jetzt und auch künftig führen zu dürfen“, was auch Superintendent Jürgen Tiemann unterstrich. Mit der Verleihung des Titels präsentiert sich Minden auf der Website Reformation 2017 gemeinsam mit anderen reformationsgeschichtlich relevanten Städten. Die Stadt kann mit dem gesetzlich geschützten Label auch über das Reformationsjubiläum 2017 hinaus für sich werben.
Quelle: Stadt Minden, r2017.org, OctoberNews