
Hunderte von Techno-Fans lauschten und tanzten nach den Rhythmen von DJs aus Hamburg und Ostwestfalen-Lippe (OWL) beim Amphimelodie Open Air 2016 am Weserufer und bei der Aftershow-Party in der Musikbox in Minden.
Im Gegensatz zum Bierzelt ging den fünf DJs und Fans der elektronischen Musik beim „Amphimelodie Open Air“ keineswegs die Luft aus. Denn wenn der gebürtige Berliner DJ Morris Stegink (kurz: DJ Morris) zum Techno-Event ruft, kommen seine Musikerfreunde und Fans gern nach Minden und erscheinen zahlreich – trotz Getränkemitnahmeverbot, Rucksackkontrolle, Security und Absperrung.

„Rasenmelodie! Amphimelodie ist umgezogen. Das Mini-Amphitheater hat ausgedient, aber der Name ist Programm. Der Sound war klasse, es hat Spaß gemacht. Wie immer: ein Mal im Jahr ist zu wenig!“, teilte Wolfgang Klopsch auf der Facebook-Veranstaltungsseite einen Tag nach dem Event mit. Damit hat er schon ganz gut den Nagel auf den Kopf getroffen. Tatsächlich war am 20. August – im Vergleich zum Vorjahr, siehe unser Bericht – irgendwie alles anders.
Während in 2015 die Techno-Begeisterten sich frei auf den Weserwiesen und auf der kleinen, runden Amphitheater-Fläche bewegen und abtanzen sowie mit Speis und Trank selbst versorgen konnten, musste DJ Morris schon in der Ankündigung darauf hinweisen, dass in diesem Jahr zwar der Eintritt frei war, aber „eigene Getränke nicht gestattet“ seien „aus genehmigungs- und kostentechnischen Gründen“ und wegen der Müllentsorgung. Grund dafür seien die hohen auflaufenden Kosten von rund 4000 Euro, erklärte er am Samstag, und da „die Leute nicht bereit waren, zu spenden“. (Ein Spendenaufruf ist der ON-Redaktion jedoch nicht bekannt geworden, sonst wäre er veröffentlicht worden).
Auf jeden Fall wurde ein Gelände vom Amphitheater bis zu einem Teil des Skaterparks an der Weserpromenade mit Sichtschutzwänden eingezäunt, aber mit freiem Blick auf die Weser. Zwei Sicherheitsbeauftragte kontrollierten an zwei Eingängen Taschen und Rucksäcke nach mitgebrachten Getränken, und ein aufblasbares lilafarbenes Getränkezelt von Herforder wurde aufgestellt. Letztgenanntes wurde notgedrungen stark belagert, doch die Jugend ließ sich nicht beirren. Manche reichten sich die mitgebrachten Getränke halt durch den Zaun, da nicht jeder bereit war oder dazu in der Lage ist, teures Geld dafür auszugeben.
Was aber weder geahndet wurde noch der Stimmung einen Abbruch tat. Davon abgesehen dekorierten die Mindener das Gelände im Retro-Look. 50er-Jahre-Lampenschirme hingen an einem Baum, deren Lichter im Takt der Musik blinkten. Andere Bäume wurden mit bunten Scheinwerfern beleuchtet, und Nebel drang aus einem alten, mit eckigen Löchern durchsetzten Ölfass. Auch eine kleine Lasershow war dabei.

Doch mit Krawall fing alles an bei der Amphimelodie Open Air 2016, genauer gesagt mit DJ „Chris Krawall“. Der Hamburger Jung‘ nimmt seinen Künstlernamen wörtlich und legte „laut, experimentell und dreckig“ auf – „mit einem Bass mitten in die Fresse und einer großen Portion Liebe“, wie er es auf seiner Facebook-Seite beschreibt. Wir haben ihn leider nicht erlebt, da wir erst gegen 16.30 Uhr eintrafen. Aber die Begeisterung der bis dahin eingetroffenen, noch geringen Anzahl an Techno-Fans sprach Bände: „Geil, einfach nur geil.“ Genau wie das sommerliche Wetter, das – mit vorbeiziehenden grauen Wolken – weder die Gäste noch die PR der DJs im Stich ließ.

Dann übernahm DJ Sebastian „KE:NT“ den Plattenteller auf der Bühne, die dieses Mal nicht auf dem Amphitheater, sondern auf der Wiese Richtung Vereinshaus der Kanusportgemeinschaft (KSG) Minden die Besucher beschallte. Der bei Absolut Techno aus Basel (Schweiz) unter Vertrag stehende Berliner, der seinen Sitz nach Detmold verlegte, wie er am Samstag verriet, liebt das „Spiel mit der Musik“. Schon als Kind fand der im Stadtteil Neukölln Geborene heraus, dass Musik ein wichtiger Bestandteil seines Lebens sei, erklärt er auf seiner Facebook-Seite. Entsprechend abwechslungsreich ist sein Repertoire, wobei Einflüsse von Pink Floyd (s. Wikipedia) unüberhörbar waren. Aber so richtig heimisch fühle er sich bei dunklen und dynamisch treibenden Techno-Sounds.
Die Gäste der Amphimelodie tauten spätestens jetzt so langsam auf und besiedelten vereinzelt die Tanzfläche. Auch, weil DJ „KE:NT“ und DJ „Lauscher auf!“, die dieses Mal nur als Besucherin dabei war, aus Handkanonen Silberglitterfäden in die Menge schossen. Doch ab 17 Uhr strömte plötzlich ein ganzes Rudel an Techno-Fans aufs Gelände. Eine halbe Stunde später war das Gelände voll, die Party ging jetzt richtig los. Denn jeder war gespannt auf die Sounds von „Nana K.“ und „Flo Sebastian“.
Mike Brfo alias DJ „Nana K.“ aus Bielefeld fing an und brachte die bisher Tanzfaulen in Stimmung (mit Ausnahme eines jungen Mannes, der lieber das kühle Nass der Weser durchschwamm). Die melodisch harten Klänge und Bässe (s. Soundcloud) waren so durchdringend, dass es niemanden mehr in Ruhestellung auf den Weserwiesen hielt. Der in Kumasi (Ghana) geborene 34-Jährige wirkte total „durchgeknallt“ und haute seine Sounds mit Leidenschaft den Leuten um die Ohren. Der Spaß am Techno war geboren für diesen Tag.

Doch wer meinte, nach diesem Spiel abhauen zu wollen, wurde eines Besseres belehrt. Top-Act DJ „Flo Sebastian“ (s. Titelbild) baute jetzt sein Equipment auf. Nach zahlreich angeschlossenen Kabeln war es dann soweit, seine zwei Keyboards und ein Mischgerät füllten die Bühne. Denn der schlanke „Hamburger mit Dutt und Zigarette im Maul“ spielte live, was in der Techno-Szene recht selten vorkommt. Entsprechend wurde er von Veranstalter DJ Morris als „unglaubliches Talent und musikverliebt“ angepriesen.
Fakt ist, dass „Flo“ keineswegs Neuling, sondern jahrzehntelang professionell unterwegs ist mit seinen innovativen Sounds, die von melancholischen Momenten bis zu Bounce-infundierten Melodien reichen laut seiner Facebook-Seite. Schon als Kind komponierte er seine erste Spur auf einem Fisherprice-Tonbandgerät. Später produzierte er Kurzfilme und Jingles für die Werbeindustrie, darunter Sony Music, und durfte als Sub-Keyboarder für Disneys Musical „König der Löwen“ spielen. 2010 erklomm er als Produzent und Pianist eine neue Karrierestufe und arbeitete unter anderem für das Label M8. Schließlich entdeckte er die vielfältige elektronische Musik und kombiniert seitdem alle Erfahrungen und Einflüsse zu einem Ganzen, was er eindrucksvoll darbot.

Doch plötzlich zeigte sich Live-Performance aus einer anderen Richtung. Dem Getränkezelt ging die Luft aus. Langsam, aber sicher schrumpfte es in sich zusammen und die charmanten Schankhilfen mussten Theken und Zeltdach gleichzeitig von innen stützen. Geschickt manövriert wandten sie das „Kunststoffmonster“ von den Getränken ab, damit nichts zu Bruch ging, während die durstigen Gäste nicht einen Millimeter von der Stelle wichen, ihre Pfandbecher festhielten und das Schauspiel aufmerksam verfolgten.
Nachdem das lila Gummizelt völlig am Boden lag und damit die Theken unterm freien Himmel (was aus Amphitheater-Sicht gar nicht so schlecht war, denn jetzt hatten die Leute auch von hier freien Blick auf die Weser), kam DJ Morris zur Hilfe und richtete im Techno-Takt gemeinsam mit den Thekenkräften das Herforder Werbeflächen-Zelt wieder auf. Die Party konnte weitergehen.

DJ „Flo Sebastian“ machte noch bis 20.30 Uhr die Techno-Bühne unsicher, dann besetzte der 25-jährige Veranstalter und Organisator selbst den Plattenteller und heizte seinen Gästen bis 22 Uhr ein, die sich schon seelisch und körperlich auf die eine halbe Stunde später beginnende Aftershowparty „Indoor Festival 2016“ in der Musikbox Minden einstellten. Bei 8 Euro Eintritt war hier bis in den frühen Morgenstunden nicht nur der „Berliner Bär“ los – womit DJ Morris gemeint ist, der im Übrigen am 27. August 2016 ab 22.30 Uhr eine fette Geburtstagsparty in der Musikbox steigen lässt (s. Facebook-Veranstaltung).
Schlussendlich noch ein paar Bildchen von der Amphimelodie am Weserufer: