
„Ich bin der Fähre immer treu geblieben“, erzählt Martin Larisch aus Petershagen-Windheim – und das ist kein Seemannsgarn. Seit rund 14 Jahren schippert der gebürtige Berliner und gelernte Binnenschiffer mit der PetraSolara auf der Weser. „Die Leute nennen mich ‚Teppich'“, erklärt der internetlose Hobby-Lederer Peter Mathew, „weil ich jahrelang als Orientteppichverkäufer arbeitete. Nun mache ich in Leder.“ Und dann gibt’s da noch die Alttraktorenfreunde, die ihre Oldtimer am liebsten mit der Heizlampe anzünden.
Alle haben gemeinsam, dass sie auf dem vergangenen Windheimer Frühjahrsmarkt 2016 nicht nur ihre „Schätzchen“ vorstellten, sondern auch ihre persönlichen Geschichten erzählten. Man musste einfach nur zuhören:
Peter Mathew aus Helpsen – wobei der Familienname tatsächlich so ausgesprochen wird wie geschrieben und nicht etwa wie der englische „Matthew“ – war das zweite Mal mit seinem Lederartikel-Stand auf dem Flohmarkt-Gelände in Windheim vertreten, ein idyllischer Ortsteil der Stadt Petershagen an der Weser mit rund 1600 Einwohnern. Seine angebotenen Taschen, Gürtel, Westen und Messerscheiden hat er alle von Hand gefertigt und sein Stand erinnert an Mittelaltermärkte. Er selbst war bei 20 Grad sonnig-warmem Wetter mit Lederhose und Filzhut bekleidet – stach daher aus der Masse der „normalen“, zahlreich vertretenen Flohmarktständler regelrecht heraus.

Auf Nachfrage, ob er denn gelernter Lederer sei, lächelte er und antwortete, dass das sein Hobby sei, aber es jetzt mal mit Anbieten auf verschiedenen Märkten versuche. Auf seine von ihm überreichte Visitenkarte blickend haben seine eigentlichen Dienstleistungen nun wirklich nichts mit Schneiderei oder Lederei zu tun: Gartenpflege, Grabpflege, Rasen vertikutieren sowie Gehölz- und Heckenschnitt bietet er im Landkreis Schaumburg und Umgebung an.
Und dann war da noch die langjährige Tätigkeit als Orientteppichverkäufer, woher er den Spitznamen „Teppich“ hat, wie ihn eine Kundin ansprach, die gerade einen seiner Gürtel anprobierte. Er beriet sie zwecks passender Schnalle und stach mit einer Spezialzange ein weiteres Loch in den Gürtel, damit’s auch richtig passt. Ein vielseitig begabter, handwerklich geschickter Mann mit nur einem Manko: Er hat kein Internet. Erreichbar ist er nur per Mobiltelefon.
Soweit zum Geschäftlichen. Was Mathew aber privat erlebte, kommt wohl nicht so oft vor. Nach dem langjährigen Job als Teppichverkäufer war er für ein paar Monate auf Arbeitslosengeld II angewiesen, aber schon nach kurzer Zeit so angenervt von dem bürokratischen Aufwand, dass er sich selbstständig machte und vom Leistungsbezug abmeldete. Das zuständige Jobcenter zahlte ihm aber weiter Geld aus. Obwohl er mehrmals darauf hinwies, dass er kein Geld mehr vom Amt haben wolle, überwies das Jobcenter fleißig weiter. Erst als Mathew persönlich vor Ort den Mitarbeitern klar machte, dass er den überschüssigen Betrag zurückzahlen will und nichts mehr an Geld erhalten möchte, stellte das Jobcenter die Zahlung ein.

Martin Larisch hingegen hat mit Jobcentern noch nie was am Hut gehabt. Der 61-Jährige ist gelernter „Minden-Matrose“, wie er sich bezeichnet, ist also in jungen Jahren schon von Berlin nach Minden gekommen, um sich beim Wasser- und Schifffahrtsamt als Binnenschiffer auszubilden. So verbrachte er viele Jahre auf dem Wasser, bis ihn das Festland einholte.
Er heiratete, gründete eine Familie, bekam zwei Söhne und arbeitet mittlerweile über 40 Jahre bei Melitta in Minden. Je nach Einsatz wohnte der Projektmanager mal in seiner Heimat Berlin, in Petershagen, in Frille (was ihn sehr an Berlin erinnerte, weil die Stadt ebenfalls geteilt war) und anderen Orten, bis er schließlich in Windheim hängen blieb, weil er hier ein schönes Fleckchen Erde fand, wo man ein Haus bauen und sich niederlassen konnte. „Zum Einzug kam sogar Ortsbürgermeister Hermann Humcke persönlich vorbei und brachte eine Topfpflanze als Willkommensgruß. Das erlebt man ja auch nicht alle Tage.“

Während zwei getunte Motorboote an der Solarladestation (Stillliegeboot) vorbeifuhren erzählte Larisch weiter. Dem Flusswasser treu geblieben schloss sich Larisch dem Fährverein Hävern-Windheim e.V. an, absolvierte dort einen kostenlosen Bootsführerschein, und transportiert seitdem ehrenamtlich – abwechselnd mit 60 anderen Fährleuten – in seiner Freizeit mit der Solarfähre PetraSolara Menschen über die Weser. „Auf der anderen Seite“, gemeint ist Hävern, „ist ja alles Naturschutzgebiet und gibt es jede Menge Hotels und laufen die Leute gern mit ihren Hunden Gassi oder fahren Fahrrad.“
„Früher fuhr an dieser Stelle noch eine Zugseilfähre“, schilderte er zudem und zeigte auf zwei Masten an beiden Ufern, an denen heute noch die Stahlseile baumeln – wobei auf einem der Masten ein Storchennest drapiert wurde, das regelmäßig bewohnt wird. „Und heute haben wir besonderes hohes Wasser, die Weser steigt“, führte er schließlich am 3. April aus. Tatsächlich war die Rampe, an der die Fähre normalerweise anlegt, inklusive Fahrradständer völlig im Wasser verschwunden.

Entwischt waren auch schon die ersten Oldtimer-Traktoren, aber ein paar der alten „Schätzchen“ konnte man noch antreffen. Beispielsweise den Lanz Bulldog von Friedrich Deike aus Bückeburg-Berenbusch. Der vor rund 55 Jahren gefertigte Schlepper der ehemaligen Heinrich Lanz AG aus Mannheim arbeitet nach dem Glühkopfprinzip. Mit Super Benzin befüllt – wobei der Tank praktischerweise ein Allesschlucker ist – wird zuerst eine Heizlampe gezündet und unter die sogenannte „Glühnase“ gestellt, die sich vorn am Traktor befindet. Das sieht dann aus, als hätte man einen Gasbrenner bei einem alten Badeofen entzündet.

Nun noch ein bisschen warten und nach etwa zehn Minuten ist der Lanz bereit zum Anschmeißen. Dafür zieht Deike das Lenkrad aus der Stange, steckt es ins Schwungrad auf der rechten Seite des Traktors und wuchtet mit aller Kraft gegen den Uhrzeigersinn. Der Motor springt an, weiße Wölkchen dringen aus dem Auspuffrohr gen Himmel und ein typisch lautes Knattern ist zu hören. Jetzt das Lenkrad wieder zurückstecken, wo es hingehört, und die Fahrt kann beginnen.
„Und der kann solange fahren, bis das Feuer erloschen ist“, erklärt ein anderer Alttraktorenfreund. „Das kann rund zehn Stunden dauern. Wenn ein Bauer früher aufs Feld gefahren ist und zurückkam, lief der Motor solange vor dem Schuppen weiter, bis er von allein ausging.“
Schlussendlich konnte man auf dem Windheimer Frühjahrsmarkt noch über eine kleine Kirmes schlendern, Autoscooter und Karussell fahren und sich mit Leckereien versorgen – sowie nebenbei den Blick aufs Wasser und die großen Baumknospen am Wegesrand genießen. Wer auf Flammkuchen steht, dem sei ebenfalls ein „Ritt“ nach Windheim empfohlen.

In dem idyllischen Dorf gibt’s einfach viel zu entdecken und zu erleben. Zum Beispiel wird am 1. Mai 2016 ein großes Maifest im Bistro Weseraue mit Gartenparty und Livemusik von „Duo Culinare“ gefeiert, am Vatertag geht’s an der Weser rund und der nächste Windheimer Markt folgt im Herbst.
Jetzt aber zur vollständigen Bildergalerie: