
Das einst Haus Nummer 1 im Dorfkern von Hille trug schon viele Namen. Benannt nach seinen Besitzern war das Rittergut zuerst unter ‚Voßenhof‘ bekannt, dann unter ‚von Oeynhausensche Hof‘ und ist aktuell mit ‚Reimlers Hof‘ beim Verein ‚Herrenhäuser und Parks im Mühlenkreis‘ Minden-Lübbecke eingetragen. Ein Anwesen, dessen historische Geschichte und Architektur entdeckt werden will.
Hätten wir nicht vergangenen Sonntag den Kunsthandwerkermarkt in der Verbundschule Hille besucht, an der ‚Von Oeynhausen Straße‘ gelegen, die bereits unsere Neugier weckte, und im Anschluss hinter den Altenheimen der Diakonie übers Baugelände geschaut, wären wir wohl geschätzte hundert Mal ‚vorbeigebrettert‘, ohne diesen historischen Ort jemals gesehen zu haben, der selbst bei Google Maps nicht namentlich zu finden ist: Reimlers Hof – ein Rittersitz aus dem wahrscheinlich 17./18. Jahrhundert, der bis heute idyllisch am Weiher im Dorfkern verweilt und das Herz der Stadtgeschichte von Hille höherschlagen lässt.

Eine junge Katze, die wie eine Porzellanfigur farblich abgestimmt zum Herrenhaus auf der Treppe des Eingangs thronte und uns dann entgegenkam, als wolle sie uns begrüßen, ‚entführte‘ uns übers Gelände und damit in eine Geschichte, die es wert ist, zum meteorologischen Frühlingsanfang 2019 zu erzählen:
„Dieses im Mittelpunkt des Dorfes gelegene Hofgut hat an Wichtigkeit und Bedeutung für das Gemeindeleben wohl alle andern überragt“, heißt es zu Anfang im 43. Kapitel ‚Der v. Oeynhausensche Hof‘ des Literaturwerks ‚Die Rittersitze der Grafschaft Ravensberg und des Fürstentums Minden‘ von Karl Adolf Freiherrn v. d. Horst (ein Mitglied des ‚Herold‘) aus dem Jahre 1894. „Es wurde von alten Leuten noch Voßenhof genannt. Wie lange die Familie v. Voß auf dem Hofe gesessen, lässt sich nicht nachweisen, da eben die Kirchenbücher in Hille nicht weiter bis 1726 zurückgehen.“
Hieran kann man schon ahnen, wie bedeutsam das ritterliche Anwesen für die Gemeinde Hille gewesen sein muss. Irgendwann in der damaligen Zeit hat nach Überlieferungen also eine Familie von Voß den Rittersitz an der heutigen Dorfstraße 18 bewohnt – das zeitweilig wohl zwischen dem 14. und 19. Jahrhundert das Haus Nr. 1 in Hille war (lt. Hausnummernbuch von 1879 und Heimat Hille der Familie Klemme). Deshalb auch der Name Voßenhof – der sich mit den wechselnden Besitzern immer wieder änderte.
Bekannt wurde die Familie von Voß im Jahre 1429, als Herbert Voß am 26. Dezember die Freigrafschaft von den Brüdern von Horne im Rahmen eines Vertrags zwischen Münster und Osnabrück erwarb, wie man dem Jahrbuch für die Geschichte des Herzogtums Oldenburg in der Auflage von 1910 entnehmen kann. Allerdings lässt sich nicht zurückverfolgen, welche Generation von Voß das Anwesen in Hille errichtet oder erworben hat.
Demnach lässt sich nicht nachvollziehen, aus welchem Jahr das Anwesen stammt. Es wurde zwar von verschiedenen Seiten auf das 17. Jahrhundert datiert, weil eben keine Notizen vor 1726 vorliegen, und seit 1984 in der Denkmalliste der Gemeinde Hille als ‚Hofanlage von 1699‘ eingetragen, kann aber durchaus aus dem 14./15. Jahrhundert stammen, als die ersten Hofstätten im Hiller Dorfkern bzw. ‚Riederbruch‘ (Ritterbruch) entstanden.

„Im Jahre 1699 sind die v. Oeynhausen Besitzer“, heißt es jedenfalls weiter im Literaturwerk des Freiherrn von der Horst (ein westfälisches Uradelsgeschlecht aus dem Fürstentum Osnabrück). Tatsächlich findet man am Torbogen die Wappen und Namen des ‚Johan Ernst Henrich von Oynhausen‘ – Preußischer Obrist zu Pferde – und seiner Frau ‚Susanna (geborene) Pohlmans‘, allerdings die Angaben ‚Anno 1600‘ und ‚den 28. May‘ – was bedeuten könnte, dass zumindest der Torbogen (auch ‚Fachwerktorhaus‘ genannt) bereits am 28. Mai 1600 errichtet wurde.
Über der Eingangstür am Herrenhaus findet sich ebenfalls das Wappen des westfälischen Adelsgeschlechts der Herren ‚von Oyenhausen‘ (ein Uradel aus dem Paderborner Land) wieder – dessen ‚e‘ im Namen zu einem späteren Zeitpunkt hinter das ‚O‘ wanderte, also fortan ‚von Oeynhausen‘ geschrieben wird – und nicht mehr und nicht weniger Namensgeber der Nieheimer Ortschaft Oeynhausen im Kreis Höxter sowie der Stadt Bad Oeynhausen im Kreis Minden-Lübbecke ist. Im Wappen von Bad Oeynhausen findet sich noch heute die Leiter aus dem Wappen des Uradelsgeschlechts ‚von Oyenhausen‘ wieder.
Erstmals erwähnt wurde ein ‚Bernhardus villicus de Oienhusen‘ in einer am 1. Mai 1237 ausgestellten Urkunde (Regest einer Abdinghofer Urkunde in Overhams Handschriften, Stadtarchiv Wolfenbüttel I, 2.). Die ununterbrochene Stammreihe habe um 1300 mit ‚Johann von Oynhausen‘ begonnen und Zweige der Familie ‚von Oeynhausen‘ bestehen bis heute, zum Beispiel der landwirtschaftliche Betrieb ‚Falk Peter Freiherr von Oeynhausen‘, dessen Familie seit 1536 bis heute in Besitz des Gut Grevenburg bei Nieheim sein soll. Auch existiert eine Unternehmensgruppe namens ‚Graf von Oeynhausen-Sierstorpff‘ in Bad Driburg.
Durchschreitet man jedenfalls das Torhaus, erwartete einen am 24. Februar 2019 dieser herrliche Anblick kurz vor Sonnenuntergang:

Wobei hinzuzufügen ist, dass einst ein Wassergraben das rund 9000 Quadratmeter umfassende Anwesen umschloss. So gab es damals auch eine Zugbrücke über den Wassergraben zum Torbogen, über die man zur heute gepflasterten Zufahrt bis zum Hofplatz gelangte. Übrig blieben ein Dorfweiher (kleiner Teich) vor dem Torbogen sowie landwirtschaftlich genutzte Flächen nördlich und südlich vom Privatgelände, auf denen zurzeit gebaut wird. Der Hofplatz zieht sich wie eine kurze Allee bis zum Herrenhaus und ist von Ahornbäumen umgeben sowie im Norden und Süden von einem Stall und einer Scheune in Fachwerkbauweise – passend zur Toreinfahrt.
Das Herrenhaus (Haupthaus) jedoch durchbricht den Stil der Fachwerkgebäude im Hiller Dorfkern. Stein auf Stein gebaut mit Neo-Renaissance-Elementen an Fenster und Türen, biete das Haus auf rund 445 Quadratmetern Wohnfläche hohe Decken, eine Ölheizung, originale historische Dielenböden, Fliesen und Laminat im Erdgeschoss sowie eine Terrasse zur Rückseite mit Blick auf einen kleinen Garten, wo sich laut einer mittlerweile deaktivierten Immobilienanzeige mindestens bis ins Jahr 2000 ein kleines historisches Backhaus und ein Toilettenhaus im Fachwerkstil befanden.

Nach dem Tode ‚Johan Ernst Henrich von Oynhausen‘ am 29. Juli 1722 (geboren wurde er am 28. Februar 1653) jedenfalls erbte die Witwe das Anwesen. Doch sein Sohn Friedrich Wilhelm (geb. 1685) verstarb schon mit 20 Jahren, und Susanna von Oynhausen (auch ‚Susanne von Oeynhausen‘ genannt, geb. 1644) verstarb nur wenige Jahre nach dem Tod ihres Mannes, am 30. März 1728. Damit ging der Besitz in die Pohlmanssche Linie über. Aber der Erbe Christian Friedrich Pohlman (neudeutsch: Pohlmann) – der in einer Schuldverschreibung vom 1. Dezember 1728 die Obristin Susanne von Oeynhausen seine Großtante nennt und in Minden einen Eid ablegen musste, dass er zwei Oeynhausensche Testamente nicht abhanden kommen ließ – verstarb am 26. Mai 1781 mit 70 Jahren.
Ihm folgte sein (angeblich nicht-adeliger) Sohn Christian Gottlieb Ludwig Pohlmann, der einen wesentlichen Anteil zur Architektur in ihrer heutigen Form beitrug:
Er ließ ab 1728 die beiden Fachwerkhäuser (Stall + Scheune), genauer 1787 das rechts gelegene Gebäude und 1796 das vom Herrenhaus aus links gewandte Gebäude nach Angaben der Hausbeschriftungen, errichten sowie das Herrenhaus an sich, das vermutlich zwischen den Jahren 1728 und 1787 entstand (weil zuerst baut man das Wohnhaus, dann die Stallungen und Scheunen).
(Quelle: Hiller Anzeiger, Ausgabe 13 von 2008)
Die im Februar 2019 zu sehenden Häuser auf dem Anwesen – mit Ausnahme des Torbogens – stammen demnach aus dem 18. Jahrhundert. Aus einer Zeichnung, veröffentlicht im Hiller Anzeiger, Ausgabe 24, von 2009, lässt sich zudem entnehmen, dass ursprünglich mindestens noch ein weiteres Fachwerkhaus hinter bzw. neben dem Herrenhaus existiert haben muss. Auch auf der Infotafel vor dem Torhaus kann man lesen: „Lediglich die früher vorgelagerten Gebäude sind nicht mehr vorhanden.“ Gleichwohl verstarb auch der fleißige Bauherr Pohlmann, nämlich am 12. Februar 1819.
Christian Friedrichs Tochter Wilhelmine Luise Auguste von Pohlmann hingegen heiratete zwischenzeitlich, ließ sich zwei Mal scheiden, und ging schließlich am 27. Oktober 1829 die Ehe ein mit ‚Geometer Karl Heinrich von der Heide‘, der dadurch neuer Besitzer des alten Ritterguts wurde.
Damit ergibt sich eine Übereinstimmung mit dem oben genannten Hausnummernbuch von 1879 der Familie Klemme aus Hille insoweit, dass das ‚Haus Nr. 1‘ im Hiller Dorfkern, der Voßenhof bzw. später ‚von Oeynhausensche Hof‘, dem Gutsbesitzer ‚von der Heide‘ zugeordnet wurde – ein Mitglied des damaligen Gemeinderats und Protokollführer der Gemeindechronik.

Doch bereits drei Jahre später, 1882, verkaufte von der Heide das bereits parzellierte Anwesen an Friedrich Wilhelm Reimler, einen gebürtigen Hiller, der in frühen Jahren nach Amerika ausgewandert war und dort an der Börse zu beträchtlichem Vermögen gelangte. Ihm sei es zu verdanken, dass viele Innenräume des Herrenhauses neu gestaltet und hochwertige Möbel aus Amerika angeschafft wurden, von denen wohl ein Teil bis heute im Hause gehegt und gepflegt würde. Die Buchstaben ‚BEX‘ auf einem Schild am Torbogen und die Jahreszahl 1883 wären diesem neuen Besitzer Reimler zuzuschreiben.
Fortan trug das ländliche Anwesen den Namen: der ‚Reimler’sche Hof‘. Und das mit Stolz: So habe der deutsch-amerikanische, weltoffene Reimler den Hiller Bürgerinnen und Bürgern doch unter anderem ein neues Spritzenhaus (Feuerwehrgebäude) geschenkt und der Kirche schöne große Fenster gestiftet. 1897 wurde das Herrenhaus außerdem von ihm zu seiner heutigen Form umgebaut.

Da der neue Besitzer jedoch nicht heiratete, nahm er seinen gleichnamigen Neffen Friedrich Wilhelm als Verwalter mit auf den Hof, der das Anwesen vererbt bekam. Als Vater von vier Töchtern und einem 1905 geborenen Sohn, der ebenfalls auf den Namen Friedrich Wilhelm Reimler getauft wurde, waren demnach genug Nachfahren vorhanden, die das Erbe antreten konnten. Letztendlich heiratete der Sohn 1951 und seine Frau zeugte eine Tochter: Ulrike Reimler – die derzeitige Eigentümerin von ‚Reimlers Hof‘, wie er bis heute genannt wird.
Ulrike Reimler heiratete schließlich Paul-Gerhard Ellerbrock, behielt aber ihren Mädchennamen und nennt sich seitdem Ulrike Reimler-Ellerbrock. Beide werden vom Verein Herrenhäuser und Parks im Mühlenkreis und auf dem Infoschild als Ansprechpartner genannt.
Was die Firma Geolock GmbH betrifft, die im Jahre 2014 auf mehreren Internetportalen als Inhaberin genannt wurde, lässt sich nicht nachvollziehen, ob und in welchem Zusammenhang sie mit dem Ehepaar Reimler/Ellerbrock steht. Auch der angepriesene Kaufpreis von 549.000 Euro aus einem deaktivierten Immobilienexposé auf mapio.net ist nicht nachvollziehbar – hier lässt sich weder entnehmen, wann die Anzeige inseriert wurde, noch von wem.
Insgesamt gesehen hat sich der Ausflug zum Hiller Dorfkern aber auf jeden Fall gelohnt und ein weiteres Stück Geschichte aus dem Kreis Minden-Lübbecke offenbart. Wir können daher jedem nur empfehlen, diesen historischen Ort einmal selbst aufzusuchen.
Textquelle: Digitale Sammlungen ulb Münster, Horst (westfälisch) Wikipedia, Adelsgeschlecht Oeynhausen Wikipedia, klemme.org, weitere Verlinkungen im Bericht, Umformulierung/Ergänzung: OctoberNews
++ UPDATE ++
Am 12. Juli 2020 haben wir uns nebenan auf der Ausgrabungsstätte „In der Loge“ in Hille umgeschaut (dem oben genannten Baugelände – siehe dazu Bericht auf Archäologie Online sowie unsere Fotos in unserem Facebook-Post vom 23. Juli 2020). Anschließend schauten wir bei Reimlers Hof vorbei und haben dort neue Namen auf den Klingel-/Briefkastenschildern vorgefunden. Aktuell wohnt auf dem Hof eine Familie Kavanek-Wohlonen und Karl T. Wohlonen.
Offensichtlich handelt es sich bei Wohlonen um einen finnischen Namen (von: Vohlonen). Kelpo Hyvä Vohlonen (geboren am 16. Oktober 1879, verstorben am 18. Januar 1965) beispielsweise war ein finnischer Wrestler und Vermessungsingenieur. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war er als einer der ersten Top-Wrestler Finnlands bekannt geworden (lt. Wikipedia).
Die Familie hatte sich zudem um den Heimatpreis 2020 beworben (siehe „Dörfer mit Ideen 2020“ auf der Seite des Bündnis Ländlicher Raum). Auf dem Projektblatt „Innenbeleuchtung für Museumsscheune/Lager“ wird ausgeführt, dass die neuen Besitzer „sich in Hille mit dem Anwesen samt Herrenhaus einbringen“ wollen. Als ersten Schritt möchten sie die historische Scheune für heimatkundliche Zwecke zur Verfügung stellen. Außerdem sei im Herrenhaus ein Trauzimmer für Hochzeiten geplant und seien Veranstaltungen im Innenhof vorstellbar – unterstützt vom Förderverein Alte Brennerei Hille e.V.
Haben die Finnen jetzt den einstigen „von Oeynhausen’schen Hof“ erobert? 🙂 Wer weiß.